Krasser Trip, Juni 2017
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Tag 4: Vidin

Das im Übernachtungspreis inkludierte Frühstücksbüffet der Villa Tamaris ist arg übersichtlich, hält dafür aber eine echte Kuriosität bereit. Sardinendosen. Ich bin durchaus herumgekommen aber Sardinendosen habe ich bislang auf keinem morgendlichen Büffet entdecken können. Ziehe mir bei der Gelegenheit gleich mal eine rein. Der kredenzte Kaffe könnte vermutlich Tote zu neuem Leben erwecken und der Energieschub kommt mir gelegen. Kaum habe ich ausgecheckt muss ich mich der Herausforderung in Gestalt der Weiterreise Richtung Osten, nach Bulgarien, stellen. Ich positioniere mich an der Hauptstraße und halte Ausschau nach einem freien Taxi mit vertrauenserweckend ausschauendem Lenker. Nach wenigen Minuten winke ich ein solches heran und frage nach dem Preis bis zur ungefähr fünfzehn Kilometer entfernten Grenze. Der Typ macht seinem Erscheinungsbild alle Ehre und erklärt mir mit seinem rudimentär existenten Englischwortschatz, dass er das Taxameter einschalten wird und davon ausgeht, dass wir irgendwo zwsichen 700,- und 800,- serbischen Dinar landen werden. 120,- serbische Dinar entsprechen derzeit in etwa einem Euro, passt also. Anbei eine Karte für dich.

Die Fahrt zur Grenze beunruhigt mich. Kein einziges Auto kommt entgegen. Wir überholen ein paar Radfahrer, das war´s aber auch schon, mehr Leute sind nicht unterwegs. Der Taxifahrer lässt mich am serbischen Posten aussteigen, wünscht mir viel Glück und fährt wieder zurück nach Zajecar. Ich latsche zum Kabuff und werde dazu aufgefordert, meine Neue Hüpferlitasche zu öffnen. Der Typ wühlt ein bischen darin herum und schickt mich weiter. Passkontrolle. Ob ich über den Belgrader Flughafen eingereist bin will der Beamte wissen. "Wonach sieht der Stempel denn aus Du Esel?", denke ich im Stillen und bejahe. Wo ich hin will? Nach Vidin. Was ich dort will? Ich bin ein Tourist. Kann er kaum glauben, ist aber so und lässt sich trotz all seiner Skepsis auch nicht widerlegen und so latsche ich wenige Minuten später durch den Korridor des Niemandslands zum bulgarischen Grenzabfertigungsgebäude. Waffen habe ich keine am Start. Drogen auch nicht. Auch keine Kippen oder alkoholischen Getränke. Der Pass wird genauestens geprüft, es folgt das "woher-wohin-wieso-weshalb"- Fragespiel und dann darf ich in die EU einreisen. Hier ist rein gar nichts los. Endzeitstimmung vom Feinsten. Mist, bis in den nächsten Ort sind es an die zehn Kilometer und Taxis oder gar Öffis gibt es hier keine. Aber hey, da rollt ein auf dem letzten Loch pfeifender Peugeot 405 an die Schranke, Fahrtrichtung Bulgarien. Ich gehe zum Fahrer und frage ihn nach seinem Fahrtziel. Er will mit seinem Vater nach Vidin, wie passend. Und ich darf mitfahren. Sauber! Läuft bei mir. Benzin scheint in Bulgarien billiger zu sein als in Serbien und so lässt der optisch an Mladen Petric (w) in Zeiten seines Gastspiels beim HSV erinnernde Fahrer seinen Wagen im ersten Kaff hinter der Grenze volllaufen. Ich biete ihm eine Kostenbeteiligung an aber er lehnt ausdrücklich ab. Mehrfach. Welch ritterlicher Gönner. Feiner Zug, danke nochmals an dieser Stelle für den "Lift", um mich des Anhalterjargons zu bedienen.

In Vidin setzt mich der nette Mensch an einer Tanke ab und ich realisiere erstmal auf einer schattigen Bank sitzend wo ich gerade bin. Mit einer Handpizza und einem kühlen Wasser prüfe ich meine aktuelle Position und beschließe, als erstes zum Hotel Anna Kristina zu latschen. Dort wartet ein großer Außenpool auf mich. Vielleicht ist sogar schon das hoffentlich über eine kraftvolle Klimaanlage verfügende DZ zur Einzelnutzung bezugsfertig. Darauf hätte ich richtig Bock. Also latsche ich los, und zwar schnellen Schrittes. Sieh an, das Zimmer wartet bereits auf mich. Heute läuft´s echt wie geschmiert. 

Einzig der Umstand, dass der Außenpool derzeit außer Betrieb ist treibt mir zwischenzeitlich kurz die Zornesröte ins Gesicht. Ist aber auch echt mal so richtig beschissen, weil ich das Hotel gerade deshalb gebucht hatte. Hatte mich total auf einen entspannten Nachmittag am Pool gefreut und nun das. Na ja was soll´s, immerhin hat alles andere so hervorragend geklappt und irgendetwas ist bekanntlich immer, so auch heute. Die Bude ist okay, obgleich die Klimaanlage etwas überfordert ist mit den Außentemperaturen (circa 35° im Schatten). Am Pool abhängen wird also nichts, so ein Mist. Jeder, der die TRs dieser Seite seit ein paar Tagen kennt weiß, was ich von Mist halte. Nun gut, es lässt sich nicht ändern und so gönne ich mir zumindest eine ausgiebige Dusche sowie einen Satz frischer Klamotten. Nebenbei wasche ich ein paar dreckige Klamotten und platziere diese anschließend zum Trocknen im Zimmer. Rasch optimiere ich den Inhalt der Neuen Hüpferlitasche und mache los. Ab zur Festung, die Ulf und ich damals im Jahre 2005 weshalb auch immer links liegen gelassen hatten. Nicht der große Bringer aber angesichts der Tatsache, dass es in Vidin (übrigens eine der ärmsten Regionen Bulgariens) ansonsten nichts außer der Donau zu sehen gibt was nennenswertes touristisches Interesse wecken könnte ist ein Besuch dort obligatorisch. Was weiß Wikipedia (w) so über Vidin zu berichten? Unter anderem das hier:

"Widin (rumänisch Diiu, geläufige Transkription Vidin, teilweise auch Widdin) ist eine Stadt im äußersten Nordwesten Bulgariens und das administrative Zentrum der gleichnamigen Oblast Widin und der Gemeinde Widin. Weiterhin ist Widin Sitz der bulgarisch-orthodoxen Diözese von Widin. Die Stadt entwickelte sich aus der keltischen Siedlung Dunonija. Später bauten die Römer ihre Festung Bononia ganz in der Nähe. Sie wurde zu einer bedeutenden Stadt in der römischen Provinz Moesia (Mösien). Diese Provinz umfasste das Gebiet des heutigen Nordwestbulgariens und von Serbien. In den folgenden Jahrhunderten wechselten sich verschiedene Herrscher ab, darunter Osmanen und bulgarische Zaren. Der sozialistischen Übergangszeit im 20. Jahrhundert folgte ab 1990 die Zugehörigkeit zur demokratischen Republik Bulgarien. Widin liegt an der Grenze zwischen Bulgarien und Rumänien am rechten Ufer der Donau und besaß bis 2013 mit der zwei Kilometer nordöstlich des Stadtzentrums gelegenen Fährverbindung Widin-Calafat einen wichtigen Grenzübergang zu Rumänien. Etwas weiter außerhalb wurde inzwischen die zweite Donaubrücke (Donaubrücke 2), nach der Freundschaftsbrücke in Russe, zwischen beiden Ländern errichtet. Der Bau begann im Frühjahr 2008, im Juni 2013 erfolgte die Eröffnung. Zur Hauptstadt Sofia gibt es eine Fernverkehrsstraße und eine direkte Bahnlinie. Die Stadt ist halbkreisförmig angelegt und zur Donau ausgerichtet." So weit so gut. Zurück zum Tagesgeschehen.

Es ist heiß. Richtig heiß. Und die Sonne brennt. Genau das Wetter, das ich mir erhofft hatte. Ich ziehe also durch Vidin und mache mich auf die Suche nach dem ehemaligen Lokal von Nikola, dass allerdings längst nicht mehr existiert. Schade. Dort haben Ulf und ich damals schöne Abende verbracht, zusammen mit dem Gastwirt. Ehe wir final die lokale Disco, die damals den Namen "Club Aquarius" trug, enterten und uns angesichts des seltsamen lokalen Tanzstils verwundert die Augen rieben. An dieser Stelle einfach mal ein Foto vom nun auch schon wieder fast 13 Jahre zurückliegenden Besuch in Vidin, von einem der Abende mit Nikola (wir waren tatsächlich, irre aber wahr, mit dem Radl da... ).

Lang, sehr lang ist´s her...
Lang, sehr lang ist´s her...

Den Rest des Tages verbringe ich damit, durch Vidin zu latschen. Fast überall ist es wie ausgestorben aber das war damals nicht anders. Sicher kein Gerücht, dass Vidin mit einem massiven Bevölkerungsrückgang zu kämpfen hat. Die Arbeitslosenquote ist hoch, die Zukunftsaussichten sind düster. Und Hand aufs Herz, wohnen möchte ich hier ebenfalls auf gar keinen Fall.

Am Bahnhof erwerbe ich das Ticket für die Fahrt nach Craiova und hier und dort die eine oder andere Handpizza. Supermarkt-Mampf ist hierzulande tatsächlich kostspieliger als Imbissnahrung, kaum zu glauben aber wahr. Nikolas Laden existiert nicht mehr und unmittelbar mit dem Einbruch der Abenddämmerung kommen unzählige blutgeile Insekten aus ihren Löchern gekrabbelt um mir einen lauschigen Abend an der Donaupromenade zu vermiesen. 

Was soll´s, reise ich halt überpünktlich ins Dreamland. Tut mir nach den strapaziösen letzten Tagen gut.

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